Conni Köpp meets Donna Cardelli.

22.3.2017 (R.I.P., 6.8.21)

 

„Oh, Sie machen mich so glücklich, dass Sie kommen! Darf ich Sie ‚Frau Conni‘ nennen? Ich bin die Marion!“  

 

Was für eine herzige Vorstellung einer 80-Jährigen! Nach einem kurzen Telefonat mache ich mich auf den Weg und treffe auf die große Senora und einst berühmte Sopranistin Marion Cardelli. In ihrer Wohnung in HH-Hasselbrook erwartet mich bereits ein liebevoll gedeckter Tisch.  

 

„Oh, wen erwarten Sie noch?“ frage ich beim Anblick der belegten Brötchen, die für eine ganze Mannschaft reichten.   

„Sie haben doch wohl Hunger!? Ich selbst esse nichts! Und geschlafen habe ich auch noch nicht, ich war zu aufgeregt!“  

 

Wie könnte ich der Dame etwas ausschlagen!   

Dann überreicht mir Senora ein paar Hand beschriebene Blätter einer Küchenrolle.

„Ich habe einfach mal mein Leben aufgeschrieben, das dürfen Sie alles verwenden!“ lacht sie und erzählt mir stolz, dass Sie demnächst zu Gast bei Markus Lanz sein darf.   

Ich beiße in eine Ei-Hälfte und bin schon jetzt verzaubert. So viel Lebensfreude, so viel Aufgeregtheit und Dankbarkeit, bevor ich meine Arbeit überhaupt begonnen habe. Ich erahne ein Füllauf von Lebensgeschichten und wünsche mir heimlich, ebenfalls in diesem Alter meine Geschichten einmal aus dem Hut zu zaubern und die Truhe meiner Erinnerungen auszukippen.  

 

Marion Cardelli. *09. Dezember 1936, in Hamburg. Sie ist gerade mal 2 Jahre alt, als die Kristallnacht passiert. Ihre Mama ist ungarische Primaballerina, der Papa Hamburger Schornsteinfeger. Sie selbst ist Einzelkind, die Oma lebt mit ihnen unter einem Dach. Als diese bei einem Kaffeekränzchen mit Nachbarn einen Witz über Adolf Hitler erzählt, steht am nächsten Morgen die Gestapo vor der Tür. Man verschleppt ihre Großmutter nach Theresienstadt – ein Wiedersehen wird es nicht geben.  

 

Ihr Vater muss an der Front dienen und wird gezwungen, sich von seiner „nicht-arischen“ Frau zu trennen. Er widersetzt sich dem und als Strafe reißt man ihm seine Orden von der Uniform und steckt ihn in Sträflingskleidung.  

 

Alle zwei Tage muss sich nun auch die Mutter bei der Gestapo melden und Marion wird vorsorglich zur Tante nach Meck Pomm geschickt – die Odysee beginnt! Weil ihr Vater durch seine Arbeit einflussreiche Menschen kannte, findet er aber Unterschlupf für sich und seine Frau in unterirdischen Räumen einer Villa an der Alster – sie gehört der Oetker-Familiendynastie!   

Als die Russen in Meck Pomm eintrefffen, rasiert die Tante Marion den Kopf kahl, den niedlichen Blondschopf gibt es nun nicht mehr, das sei zu ihrem Schutz. Gequält von Vermissen, Sehnsucht und Heimweh, leidet sie zudem unter schlechter Behandlung durch die Tante, die sie selbst im Winter barfuß laufen lässt.   

Eines Tages schafft es die Mutter nach einem langen und anstrengenden Marsch zur Tochter, um sie wieder heim zu holen. Auf dem Spießrutenlauf zurück nach Hamburg treffen sie auf bewaffnete Russen, die bereits stalinisiert sind. Vor den Augen der Mutter und Tochter werden einfach einige der anderen erschossen. Sie selbst kommen nur mit dem Leben davon, weil die Mutter auf russisch den Kommandeur verlangt. Zuvor hatte die Mutter Marion in ein Erdloch gesteckt, aus dem sie erst nach einem Tag wieder befreit wird. Eine Woche lang irren sie durch den Wald, bis sie endlich auf Amerikaner stoßen, die sie in letzter Not versorgen.   

Zuhause wird die Zeit, die hinter ihnen liegt, nur tot geschwiegen. Marion ist schwer traumatisiert und wird nach Kriegsende – zu der Zeit üblich – ins „heile“ Schweden geschickt. Ein paar Jahre lebt die Zehnjährige in einer Pastorenfamilie, verlernt sogar die deutsche Sprache. Erst, als ihre Mutter schwer erkrankt, kehrt sie Schweden den Rücken.   

„Ihr Rücken war derart kaputt, doch nie hat jemand meine Mutter stöhnen hören.“   

Später wird es sie nach Mailand verschlagen, wo sie 10 Jahre lang Gesang, Ballett und Tanz studiert. Sie wird sogar Jugendmeisterin im Eiskunstlauf. Als sie ein Angebot aus einem Opernhaus bekommt, muss sie ablehnen – sie ist mittlerweile allein erziehend und sorgt als Sekretärin bei „Interrent“ für ein geregeltes Einkommen für sich und ihre Tochter. Der Kindsvater war der bekannte Komponist und Pianis von Harscher, ein regelrechter Womanizer, drei Ehen hinter sich. Er suhlte sich in Marions Ruhm und bleibt doch nur der Mann neben der großen „Cardelli“. Leider verprasst er ihre alle angesparten Gagen. Heute, mit 96, lebt er noch immer in einer Beziehung.  

 

Die Grande Dame des Sopran war sich nie zu schade, jegliche Arbeit anzunehmen, obwohl sie einst im Blitzgewitter stand, Maria Callas verehrte und über Pavarotti sagt: „Den liebte ich so sehr!“ - leider standen sie gemeinsam nie auf einer Bühne. Sie kannte alle Höhenflüge als gefeierte Sopranistin und blieb doch ohne Arroganz und Allüren. Gern hätte sie weitere Kinder bekommen, doch den Mann, den sie später heiraten wird (Chef vom Möbelhaus Unger), ist Epileptiker, was er ihr lange verschweigt, bis sich die Anfälle häufen.  

 

Heute ist sie dreifache Großmutter und steht auch über „whats app“ in enger Verbindung zu ihrer geliebten Tochter, die mit ihrer Familie in der Schweiz lebt.   

Sie singt bei den Adventisten im Seniorenkreis und engagiert sich für Aktionen wie „Stolpersteine“. Seit 20 Jahren putzt sie bei einem alleinstehenden Professor.   

Mit einem verschmitzten Lächeln verrät sie mir: „Gerade habe ich auf einer Rentnerbank in einem Einkaufszentrum jemand kennen gelernt! Der ist genau so alt wie ich!“   

Zärtlichkeit lehne sie nicht ab, doch einen MANN brauche sie nicht mehr, lacht sie verlegen.   

„Doch seinen BMW durfte ich fahren, das war toll! Seit 1951 fahre ich unfallfrei! Doch hatte ich auch immer Schutzengel an meiner Seite!“ Sie zählt mir alle Modelle auf, die sie gefahren ist, und die als kleine Matchbox-Ausgaben auf einer Kommode ihre Erinnerungen wach halten.  

 

Ihr Lebensmotto? „Wer was werden will, muss streng behandelt werden! Die stöhnen mir alle zu viel, dabei ist Leistung doch harter Verdienst!“   

Sie lebt bescheiden und verdankt genau das ihrem Vater, der sie nach dem Tode der Mutter zu sehr kontrollierte. Die Bescheinigungen über 10 Jahre Konservatorium habe der Vater alle vernichtet, warum sie zu ihrer kleinen Rente etwas dazu verdienen muss, weil eben genau diese Belege für eine bessere Berechnung fehlen.   

Als nächstes Projekt steht erst einmal der Umgang mit einem Computer hoch im Kurs!  

 

Als ich mich langsam verabschiede, bittet sie mich noch ins Wohnzimmer. Sie legt eine CD ein und das Hauskonzert beginnt. Die Sonne knallt ins Zimmer und ich sitze da und lausche zwei Arien und einer so kristallklaren wunderschönen Stimme der Donna „Marion Cardelli“. Für einen Moment nehme ich auch Schwere wahr. Ich kann nur erahnen, wie viel Hochgefühl, Wehmut und Bilder in ihr aufkommen. Bilder, die viel Grausamkeit vergangener Tage erzählen, von Flucht, Gewehrschüssen, Transport, verbrannter Haare....  

 

Ich bin noch nicht ganz wieder heim, da hat sie mir bereits die erste Nachricht über Whats App geschickt. Sie habe gerade meine Bücher bestellt und freue sich so sehr, mit mir in Kontakt zu bleiben.   

Ja, auch ich fand dieses Treffen sehr berührend! Und im Sommer werden wir auf alle Fälle mal Eis essen gehen!   

Ein Satz bleibt mir besonders hängen, weil er mir tatsächlich aus der Seele spricht:

„Ich bin zu glücklich – das kann gefährlich werden!“   

 

Ich kann ihr nicht das Vergessen ihrer Geschichte wünschen - aber ein wundervoll langes und gesundes Leben. Und auf alle Fälle einen nächsten Werbespot, auf den sie sich schon freut! 

 

Ich schicke La Donna meinen Text zum Absegnen, und dieses ist ihre so rührende Reaktion:-)