(06.18)

 

Und bitte komm' gern wieder!“

Ja! JAAA! Dann bringe ich dir eine Vollkornstulle mit, beschmiert mit Butter und belegt mit Apfel und Pfeffer!“

Komisch, den Text mit dem Ende zu beginnen. Heut' ist einfach mal anders. Irgendwie schön. Schön anders.

Als die Tür aufgeht, steht da diese stolz gewachsene, lässig gekleidete, das graue lange Haar nach hinten gebundene Dame. Das Hemd sitzt ihr locker in der Hose. Ich sehe ein verschmitztes Lächeln und fühle mich erwartet und willkommen. Ich halte ihr 2 Blaubeertörtchen vor die Nase.

 

Haben Sie ein Lieblingsplätzchen?“ frage ich sie in der Wohnküche

Wir duzen uns immer alle! Und – NEIN! Wenn ich DAS hätte, wäre ich alt. Ich möchte schön flexibel bleiben!“

Wir trinken, speisen und reden, reden, reden. Ich mag ihre junge und klare Stimme und das, was über ihre Lippen kommt.

Ich habe Angst, dass ihre Zeit begrenzt ist, dass sie gar müde wird oder das Gespräch sie überfordern könnte. Da wusste ich noch nicht: weit, weit gefehlt!

Ein paar Interna, so von Frau zu Frau, rutschen ihr raus. Die werden hier natürlich nicht verraten. „Oh Gott! Willst du das wirklich alles wissen?“ - JA! Bitte nicht aufhören!“

Geboren am 16. März 1938 in Hannover. Sie stöhnt. „Schrecklich! Wer wird schon in Hannover geboren!“ Sie bringt mich zum Lachen.

Aufgewachsen im englischen Stil und mächtig privilegiert: 5 Kinder, Villa, Kindermädchen und Chauffeur. Containance und Disziplin, ohne Platz für Traurigkeit und Tränen. Die Schule kommt ihr vor wie ein Gefängnis. Die Fenster nur selten auf Kipp, die Lehrer vergreist, mit Glasauge und Krückstöcken. Unter ihren Geschwistern ist sie die einzige „Schulversagerin“ und kriegt von ihrer Mutter oft zu hören: „Du hast doch Rost im Hirn!“ (Wenn die damals gewusst hätte....)

Eines aber wird deutlich: ihr Fleiß und ihr Geschick mit den Händen! Im Handumdrehen ist sie ein Schneiderlehrling, im zarten Alter von gerade 15/ 16 Jahren; ist umgeben von traumhaften Stoffen und von Wohlgefühl. Hier taut sie auf, ist Pausenclown und Mannequin. Modedesign – perfekt bei ihrem Faible für besondere Stoffe, die es in Deutschland so noch gar nicht gibt. Doch leider endet hier auch schon die Welt der Mode. Paris hat Dior – Hannover hat... nichts! So jung sie ist, sie hat Fernweh und weint den Eltern immer wieder vor, bis... ein Deal mit ihnen ihr Ziel in greifbare Nähe rückt: mit 18 in die große weite Welt zu stiefeln!

Ihre Reise in die USA beginnt in Bremerhaven. 9 Tage Überfahrt mit Schlafplatz in der Holzklasse. Getrieben vom brennenden Herzen und mit Ehrgeiz im Gepäck, wird sie ihre Schlafplätze durchs Putzen und Nähen begleichen; wird Vorträge im Lions- und Rotaryclub halten sowie Seminare geben zum Thema „Lehrlings-Leben“ - für ein kopfschüttelndes Amerika!

Ein Jahr geht schnell vorbei und sie steckt wieder auf dem Schiff zurück. Theoretisch! Denn da ist plötzlich dieser Mann an Bord. „Den konnte ich mir eigentlich gut für mich vorstellen!“ dachte sie und kletterte ständig zu ihm über den Zaun in die 1. Klasse, während der Kapitän ihr nur zuwinkt und sie gewähren lässt.

Mit 19 heiratet sie – genau jenen vom Schiff. Ein Architekt, der in Deutschland ein Auto, aber keine Frau finden wollte. Das nennt man Schicksal! Gemeinsam gehen sie zu ihm nach Pitsburgh, arbeiten wird Momo nicht mehr müssen. Nicht mehr brauchen. Sie wird Mutter.

Doch die schöne heile Welt wirft ihre Schatten. Der Schein nach Außen – das Kontrastprogramm zum Sein hinter den Mauern. Nach 4 Jahren ist nichts mehr da, Haus und Geld verschenkt – unter Schüben von Depressionen. Momo wird wieder arbeiten, um alle zu ernähren. Den Pass hatte ihr Mann ihr längst abgenommen, und so gelingt es ihr erst 3 Jahre später, und mit Hilfe der Botschaft, endlich zu entkommen. Die Scheidung folgt – und auch der frühe Tod ihres Exmannes.

Als ein „Interconti“-Hotel in Hannover eröffnet, wird diese ihre neue Arbeitsstelle. Für Geld und … für die Liebe, denn sie verliebt sich in den Küchenchef. Zweite Heirat und Auswandern nach Neuseeland. Weil sie gerade im 7. Monat schwanger ist, muss sie den Bauch einziehen, um fliegen zu können. Weitere 3 Jahre später siedelt die Familie auf die Philippinen um, wo nacheinander noch drei weitere Kinder geboren werden.

Dann die Wende! Momo nennt es 'Lebensdrama'. Diese Geschichte beginnt beim schwiegerelterlichen Ruf in den Schwarzwald – gegen ihren Willen. Dort, wo ihr die Enge des Tals die Luft raubt. Sie spricht vom Leben der Großfamilie, plus Pflegekind und Kindermädchen, in einem alten Schulhaus auf dem Berg.... spricht vom schönen, kleinen eigenen Hotel, wo Gäste schnell zu Stammgästen werden.

Ich könnte ihr stundenlang einfach zuhören, komme kaum hinterher, weil ein Füllauf von Bildern in meinem Köpfchen Kapriolen schlägt. Eben steckte ich noch mit ihr in den 60ern in Amerika, nun habe ich den Schwarzwald vor Augen.

Ich brauche eine Zigarette.“ sage ich. Und was sagt sie?

Endlich!“ Momo springt auf und bietet mir im Nu und irgendwie erleichtert eine Reyno-Menthol an.

Weiter geht’s!

Sie arbeitet bis zum Anschlag, während ihr Mann für die Lufthansa durch die Welt jettet. Sie sehnt sich nach Zweisamkeit, er will nur Karriere. Als sie ihre Kinder kaum noch sieht, der Leidensdruck immer größer wird und ein Stammgast ihr ein (moralisches) Angebot macht, ist endlich wieder Licht am Horizont!

Es braucht halt manchmal einen Knall, wenn du am Anschlag bist!“

Jener Hotelgast - ein sehr bekannter Journalist, wird ein besonders enger Freund und bietet ihr ein Leben samt seinem Kind in seinem Haus in Hamburg-Harburg an. Sie packt die Großfamilie ein und kehrt Tal und Hotel für immer den Rücken. Sie hatte ihren Mann lange genug gewarnt, doch er die vielen gelben Karten übersehen. Als sie die rote zieht.... ist es zu spät für ihn!

Als der neue enge Freund verstirbt, verliert sie den nächsten Vertrauten. Aber dieses Mal wird sie die Themen 'Sterben' und 'Tod' in einem (Mutmach)Buch verarbeiten: „Lass los, ich fliege!“ (Rowohlt).

Des Einen Ende ist des anderen Anfang. Aus dem lockeren Kontakt mit ihrem Mann über die letzten 5 Jahren entwickelt sich jetzt eine Fernbeziehung. Wo immer er sich auf der Welt um zu eröffnende Hotels kümmert, reist sie ihm mit der Kinderschar hinterher. Zwei Kleiderschränke sind das Zeugnis ihrer Parallelwelten: im linken Gucci-Kleider und rote Nagellacke für die Trips nach Saudi Arabien und Co, im anderen die Jeans und Pullis für den Alltag. Für ZUHAUSE.

Jetzt der Knaller! Wir stellen fest, dass sie nur hundert Meter weit von mir entfernt gewohnt - und meine Wohnung über ihrem Hausarzt lag. Und dass eine damalige Freundin von ihr die Freundin meiner Mutter ist. Schräg! Einfach nur schräg! Wir (b)rauchen eine nächste Zigarette!

 

Eine wie sie, die steht wie ein Fels. Die erfindet sich neu, bleibt sich treu und immer irgendwie die Alte! Ihr nächster Wunsch: eine lockere Wohngemeinschaft. Ein Haus voller Kinder, Jugendlicher. Voller Leben, einem Potpourri an Lebensthemen und auch Dramen... so landete sie irgendwie hier in Eppendorf. Hier, wo ich mit ihr nun Törtchen verdrücke.

1998 gründet sie eine eigene Cateringfirma und steigt 'zur Köchin hinter den TV-Kulissen' auf (u.a. für Lanz und Beckmanns Gäste). 16 Jahre lang, dann wird die Sendung nicht weiter produziert. Sie fürchtet schon die Langeweile und das triste Rentendasein. Sie ist da erst 76, steckt in der 2. Blüte ihres Lebens!

Doch weit gefehlt, denn schon ist da der nächste Geistesblitz, mit dem sie schnell erfolgreich wird und stadtbekannt. In Hamburg spricht sich eben alles rum!

Ich hatte so verdammt viel Glück im Leben und habe immer viel geerntet – nun säe ich! Bei mir ist's eben umgekehrt!“

Die leidenschaftliche Gastgeberin und die ins Kochen Vernarrte; die Frau, die ihren Ehemann zuhause bis zu seinem Tode pflegen wird.... die schiebt noch einmal die Möbel zurecht und dekoriert zwei lange Tafeln. Bis zu 26 Gäste klingeln jeden Freitag Abend an der Tür. „Win-win! Alle glücklich!“ Mit ALLE zählt sie auch das „Waldpiraten-Camp“ in Heidelberg auf, das sie durch die events mit Herzblut unterstützt. „Welch Kick, wenn die neue Spendenquittung die letzte wieder toppen konnte!“

Für ganze Menschenhorden zu kochen, Töpfe der Superlative in Schränken zu verstauen – pures Vergnügen für Momo Fuchs. Die Geschmäcker liegen ihr natürlich auf der Zunge und sie hat alles Wissen rund ums Zubereiten.

Sie selbst isst aber niemals mit. Sie genießt und ist dankbar. Besonders über die abwechselnde Unterstützung von 7 ihrer 9 Enkel beim Service, oder auch von Freundin Manuela Sonneck bei Planung und mehr. Am Ende geht’s gemeinsam an den Abwasch, gut gelaunt, als sei es ein Gesellschaftsspiel. Anonym sollen ihre Gäste hier bleiben, denn es mischen sich immer wieder auch Promis, Barone oder Prinzessinnen unter die Tafelrunde. Doch hier legt niemand Wert auf Herkunft, Status und Bekanntheit. Jeder Freitag ist anders, aber jeder besonders. Und zwischen den Gängen serviert sie ein Zusatzmenue, zubereitet aus 3 Fragen: „Was wolltest du als Kind mal werden? Wer bist du geworden? Welche Ziele hast du noch?“

 

Und ihre eigenen Antworten?

Als Kind wollte ich Schriftstellerin werden - ich habe Schreibmaschinen geliebt! - Tatsächlich wurde ich Journalistin für zig Magazine und war der Schreibsucht regelrecht erlegen. Heute bin ich Leseratte und genieße es, altersbedingt nachts wach zu werden, um Bücher zu verschlingen. - Und was noch vor mir liegt? Ich wäre gern Schlagzeugerin zu richtig harter Mucke. Mein Haar würde ich offen tragen, egal wie Scheiße mir das steht. Der Schweiß würde mir aus den Poren schießen, und nach meinen Auftritten würde ich von Groupis belagert, bevor ich glücklich auf meiner Harley nach Hause fahre, in mein Haus am Meer, wo ich einen Bestseller nach dem nächsten schreibe!“

Momo Fuchs - wacher noch als viele Menschen meines Alters. 32 Jahre liegen zwischen uns. So what? Ihre Haut ist derart frisch, und ich ahne, wie schön sie als junge Frau in ihrer Haute Couture verzaubert haben muss. Welk ist anders, und 80 irgendwie auch. Ihr Geheimrezept? „Ich wasche mich nur mit Wasser und Seife!“ lacht sie.

Zurück zum Fluss des Lebens, zum Fluss in ihrer Eppendorfer Wohnung. Wenn es sie mal wieder überkomme, schare sie die Kinder um sich rum.

Stolz erklärt sie, wie verkleistert die Familie sei, wie schwer es neue Partner der Kinder haben / hatten, weil die sich ihren Platz erst mal erkämpfen müssten. „Wir sind so richtig laute, schnelle Durcheinander-Sprecher! Ich habe manchmal wirklich Mitleid!“

Und Momo in 20 Jahren?

Seit einem Jahr bin ich allein, nach damals immerhin noch 15 schönen Jahren mit meinem Mann. Ich möchte ihm noch lange nicht folgen, auf gar keinen Fall! Und wenn ich hier das Kochen körperlich nicht weiter packe, kann ich immerhin noch schreiben. Gerade erst entsorgte ich meine Tagebücher. Als Hinterlassenschaft tatsächlich zu privat, meine allabendliche Selbsthilfe-Seelsorge von kleinen Alltagskümmernissen. Die großen sind im Kopf, noch seeehr präsent!“

 

2 Stunden später. Momo lacht: "Und jetzt reden wir über Conni!“ ....

"Nun ja.... wenn ich dann eines Tages gehen muss, dann will ich …... vorher wenigstens noch 80 werden!"

Dann denke ich an Momo Fuchs. An eine Frau, die Spuren hinterlassen hat.

Was für eine Begegnung!

 

P.S.: Ich mags kaum ausschreiben: Natürlich hat Momo auch einen eigenen Youtube-Kanal! Schlau wie ein FUCHS eben! :-)