RIP! Gute Reise, meine Süße!

 

Müsste ich sie mit Musik in Verbindung bringen, wäre sie ein bisschen Wagner - schwer und dramatisch. Aber dann gibt es den Bogen zu Ella Fitzgerald und ein bisschen PINK, weil eben auch PUNK. Sie verkörpert mit ihrem Facettenreichtum, wofür die einen sich fremdschämen, aber Menschen wie ich sie bewundern! Sie ist so echt, so frech, so ehrlich, authentisch und  tabulos.

Über 20 Jahre hat sie Männer, deren Fantasien, Lüste, Sehnsüchte „studiert“. Und heute schöpfen neugierige, unbeholfene bzw.  unerfahrene Teilnehmer auf ihren Vorträgen aus ihrem Wissen und profunden Erkenntnissen. 

Ihr mache niemand mehr was vor! Sie, die ihren Teilnehmern den Spiegel vorhält, süßbittere Wahrheiten über beide Geschlechter preisgibt.

Roswitha Neitzel! Die ausdrucksstarke Frau mit den wachen, neugierigen blauen Augen, der tiefen Stimme mit dem kleinen Ernst darin, der wie ein Schutzpanzer ihr weiches Herz ummantelt… SIE teilt nun Kaffee und Zigaretten mit mir.

Ihr Lebenslauf in Bruchstücken, ähnlich einer ganzen Enzyklopädie. Vor 62 Jahren in Lübeck geboren, verlässt die Vollblutlöwin noch vor der Volljährigkeit die Arbeiterfamilie. Sicheren Schrittes nähert sie sich freiwillig und sehr bewusst nur 1 Ziel: Hamburg, Kiez. Sie will die schnelle Nummer: Luxus, Reisen, Schmuck und Pelze. Anfänglich animiert sie in einem Etablissement zu Drinks, wechselt aber schnell ins "Eros-Center". Sie verträgt weder Alkohol noch kenne sie bis heute die Wirkung harter Drogen. Zu ihr passt das Klischee Hure & Aufputschmittel nicht, um sich Herz und Verstand fürs Überleben als Prostituierte  (später Domina) zu betäuben. Privat genießt sie ihre Lust und lebt sie auch voll aus – auf der D/S-(Dominant/submissiv)-Seite. Ihr Ausgleich ist die devote Ader im Privatleben, in der es um Sehnsucht nach wahrer Hingabe gehe. 

Das größte Sexualorgan bleibe halt der Kopf!

20 Jahre baut sie Puffs mit auf, mietet ein Appartement und macht später Haus- und Hotelbesuche als Domina. Dann wird sie schwanger und schmeißt mit 41 hin. Die Konten sind leer, sie fängt noch mal von vorn an. Ihren Sohn zieht sie allein groß, und aufgrund eines emotionalen Traumas wird sie 19 Jahre als Single und in Askese leben. Ihr Sohn zieht nach Amerika und sie hat wieder neue Pläne. Trotz mehrerer Schicksalsschläge, u.a. Untersuchungshaft und 6 Monate „Ochsenzoll“, steht sie mit Therapie alles durch und wieder auf. Eine Handvoll bester Freunde begleitet sie seit über 30 Jahren durch alle fetten wie auch mageren Zeiten. Hier kullern ein paar Tränen: „Die teilten die letzte Scheibe Brot mit mir und hielten stets & bedingungslos zu mir!“

Eine tolle Mutter sei sie gewesen, habe die Klischees der Gesellschaft nie bedient, sei stets aufrichtig, ehrlich und lügenfrei mit ihrem Sohn umgegangen, mit dem sie bis heute - über den großen Ozean hinaus - eine große seelische Verbindung spüre. „Wahre Liebe und Schmerz schließen sich aus. Liebe kennt Sehnsucht, die aber nicht weh tun darf, sondern Vorfreude nähren sollte!“

Zweifache Großmutter ist sie heute, aber eine Oma ist sie nicht. An ihren Ohrläppchen baumeln kleine Handschellen, am Finger ein Ring mit Ring, die langen Krallen rot lackiert. Sie spricht von spannenden Kostproben-Abenden, ihren Seminaren und Einzelcoachings. Ich war mal selbst dabei und habe Tränen gelacht ob ihrer Präsentation, dem Brechen vieler Schamgrenzen, umrahmt von Anekdoten aus ihrem Leben. Auch vom "Neandertaler" im Mann und Luder-Anteil in der Frau. „Luder“ verkörpere für sie ausschließlich das Animalische, möglichst ohne Intellekt, Zivilisation und Niveau -"Fliegen geht nur ohne Kopf!"

Sie spricht ohne vorgehaltene Hand über Analverkehr und Blowjob-Techniken, provoziert die Fantasien ihrer Teilnehmer, propagiert und motiviert für endlich mehr Offenheit und mehr Dialog in Partnerschaften. Sie spricht lebens- und liebesbeJAend! Sie spricht von der Liebe als beste Basis, aber auch von der täglichen Arbeit, um Liebe, Leidenschaft und Beziehung aufrecht und aufregend zu erhalten. „Dominant & charmant“, diese Mischung sehnen Frauen doch bei Männern, wenn sie ehrlich sind. Es ist das Unberechenbare, sind die unbeschnittenen Eier eines Neandertalers, die heute jedoch immer kleiner werden, weil die weibliche Emanzipation beinahe zum Kastrationsinstrument des Mannes wurde. 

Im Fernsehen trat sie mehrfach als ungeschnörkelte, unverblümte Expertin auf, die eben mehr als Theorie drauf hat! Ihr erstes Buch (als Co-Autorin) soll im Mai erscheinen! Pläne für die Zukunft? "Ich werde gesunde 113 - es gibt zu viel zu tun!"

Sie wird es schaffen, und ich wünsche mir für sie ne große Bühne, denn ich weiß, sie rüttelt Menschen auf. Sie wird die Wahrheit über Männer und Frauen, über Kommunikation beim Sex und im Alltag, über Romantik und Idealisierungsmuster weiterhin so unterhaltsam rüberbringen, dass wir wünschten, wir hätten so viel Aufklärungsunterricht schon sehr viel eher gehört – bevor wir in eigenen Beziehungen scheitern mussten.

Zum Abschluss kann ich mir nicht verkneifen, über diesen ihren Satz zu lachen: „Im Bett darf er dich Schlampe nennen, nicht so im Hotel Kempinski!“

 

(09/15)