(10.10.18)

 

Sollte ich mich schämen? Wie ein Verräter komme ich mir vor, weil ich selbst meinen Töchtern immer sagte: „Liebt, wie euer Körper sich verändert, lasst euch überraschen, wohin die Reise geht. Nur bitte nicht vernachlässigen!" Und unter Freundinnen hieß das Mantra: "Wir altern in Würde und Dankbarkeit! Schön (also, von drinnen) werden wir immer bleiben!"

 

Mit 19 ließ ich mir das rechte Segelohr anlegen, um endlich mal Zopf tragen zu können. 30 Jahre später sind nun also meine schlüpfrigen Lider dran. Diese kleinen Gewichte, Hautlappen wie Gesichtsgardinen in Übergröße. Ich hatte mir längst antrainiert, meine (meist) rechte Braue hochzuziehen, eine Art Straffung auf natürlichste Art. - Ab morgen ist es vorbei mit diesen Kunststücken. Meine Muskeln dürfen sich entspannen. Könnte ich das ebenfalls vom Rest des Körpers sagen? Lassen wir das jetzt....

 

Meine Freundin möchte gerne Händchen halten, weil sie mir meine Entspanntheit nicht abnimmt. Kein Wunder - in unter 10 Minuten schaffte ich es 3x aufs Klo. Und als die Schwester in den Warteraum kommt, MICH anschaut, doch jemand anders aufruft, springe ich trotzdem hoch. Ganz schön panne. Ganz schön ... unentspannt!

 

Ich streife in dem Extra-Raum die Westernstiefel ab, schlüpfe aus dem Kleid hinein in Tütenpantoffeln und Kittel, bevor ich meine Haare unters schicke Häubchen schiebe. - Während der Doc meine Oberlider bemalt, flüstere ich ihm meine Wünsche zu: „Nicht zu viel! Und keine Mandel- oder Katzenaugen, ja?“ 

Meine Freundin bitte ich, für mich zu beten.

 

Ich liege hilflos einem Fremden ausgeliefert, der die Macht über mich hat. Plötzlich sehe ich Löcher in meinen Lidern, sehe, wie ich .... „Frau Köpp? Ich setze die Narkose!“

Ruhig, Blondie, beam dich weg… geh auf Reisen? Mauritius? Seychellen? Südafrika?

Mir läuft der erste warme Strahl kostbaren Bluts die Wange herunter. Bluttränen?!

Vorbei mit den Fernzielen, ich stelle mir die Vene vor, aus der es spritzt, als sei ein Schlauch geplatzt. 

Der Doc spricht jetzt mit seiner Assistentin - ausgerechnet über Afrika!

„Frau Köpp, war'n Sie auch schon mal da?“ Wäre der Anlass ein anderer, ich hätte gern mit ihm geplaudert. Doch Mund und Zunge sind vertrocknet. Mein Gesicht hat seine natürlich Farbe verloren, ist voller Jod! 

Jetzt schmerzt es irgendwo irgendwie, doch noch schlimmer schmerzen die Geräusche, welche schlimmste Bilder in mir erzeugen und meine Fantasie … nunja… alptraumhaftig beflügeln. Ich fühle den Tacker, der nicht Zettel verschweißt, sondern meine HAUT!


Ab wann ist man traumatisiert? Mir kommt ein Freund in den Sinn, dem als Teenie eine Nadel im Auge steckte… 

"Kann man im Liegen auch kotzen, Doc?"

Seychellen... Seychelen.... Mauritius...... Mauritius. Ruhig, Blondie! Die Zeit, sie rast.... eigentlich. Nur nicht heute!

 

Rechtes Auge ist geschafft, doch für das andere brauch' ich noch Nachschlag an Narkose! Immer rein da, in die Vene! Her mit meinem Blut! 

Da habe ich zwei Kinder ins Leben gepresst, aber jetzt mutiere ich zum Weichei. Stopp! Ich werde wunderschön aussehen – falls ich mich noch wiedererkenne! Und … oh nein.... Und wenn ein Mann dann zu mir sagt: „Du hast so schöne Augen!“? Ich werde verstohlen zu Boden blicken oder ihm die Wahrheit sagen müssen. 

Lieber darf er sagen: „Schöne GRÜNE Augen!“, dann könnte ich mich einfach nur bedanken. - Ob sich auch andere Weiber während einer Halbnarkose so bekloppt denken? 

 

Nach einer Stunde ist alles vorbei und ich habe noch immer 2 Augen! 

Fazit: Nie wieder! Trostpflaster: Ich bereue nicht! 

Ich schließe meine Freundin in die Arme, dann kommt die Schwester mit dem Spiegel. „Nein danke! Ich bin noch nicht so weit!“ Auch wenn sie lacht, besteht sie auf den Blick! Langsam nähert sich der Spiegel… Ich möchte meine Augen fest zusammenkneifen, doch weder darf ich das, noch kann ich das. Auf Wiedersehen,  Brauen-Akrobatik!

 

Der Doc kommt rein und macht mir Komplimente. Nun ja, die richten sich in erster Linie wohl an sich selbst. Ich nicke stumm herum.

„Wollen Sie den Hautlappen sehen, den wir gerade weggeschnitten?“ Um Himmels Willen! Um wieviel Kilo hat er mich erleichtert?

Ich denke an ein kleines Streichholzschachtel-Grab, in dem ich meine beiden Häute bestatte. Das war es nun mit uns. Ein bisschen tut es mir schon leid um sie ganz ohne ihre vertraute Umgebung. 

 

Schmerzen habe ich am Morgen danach, beim Anblick in den Spiegel. Schwellungen wie … Pobacken! Ich schlucke 'Traumeel' wie TicTac. Ich darf nicht ausnahmslos liegen, und schlafen auch nur erhöht, auch keine Kontaktlinsen tragen. So gehe ich mit -4,5dpt, versteckt unter einer tiefschwarzen Sonnenbrille, Händchenhaltend mit meiner Jüngsten zum Einkaufen. Ich will jetzt bitte niemand treffen!

„Conni?“ Ich kann nichts sehen. Kenne ich die Stimme? „Äh... hatte 'ne OP, bin kurz erblindet, weil....“ - „Oh, okay, ich dachte schon, du grüßt nicht mehr!“

 

Tag 5:

Die Assistentin cremt die Lider ein, damit die Fäden besser gezogen werden. Ganz zart befingert sie die Haut. Leider viel zu kurz..... der Doc persönlich will sein Handwerk nun vollenden.

Oh Gott! Schon wieder Kopfkino! Ich sehe lange Bandwürmer, die aus meiner Naht gezogen werden, welche sich wie ein Reißverschluss öffnet. Das Ziehen nimmt kein Ende... es ziept wie Hechtsuppe! 


My body is my buddy!

Nun bin ich um gefühlte 1000 Gramm leichter, ein kleines Fliegengewicht sozusagen! Eine Feder......

 

(Anm: 5 Tage später verstirbt der Papi meiner Jüngsten. Er hat das Ergebnis meiner Veränderung nicht mehr mitbekommen. Nun sitzen meine Narben auf den Augen UND auf meiner Seele!)

 

Dr. Suhr, Hamburg: https://www.maxillofazialikum.de