ISABEL WÜRTZ..... Spuren suchen. Spuren finden. Spuren sichern. 

Ich sehe gleich die dicke Mappe unterm Arm und begrüße sie mit „Meine Tatortreinigerin!“, das weibliche Pendant zu ‚Bjarne Mädel‘.
Sie lacht, denn eine ‚Schotty‘ sei sie keinesfalls. Ich habe Bilder im Kopf und Eis in den Adern. Zum Warmwerden kredenze ich Smoothies und zwei Tafeln Nerven-Nougat.
 
Isabel, 54, Mami, Abi, gelernte Fotografin, Text und Bild bei einer Presseagentur, dann ab zum LKA. Traumberuf Journalistin. Aber das ist lange her. Die Idee, dass GEO sie für große Reisereportagen bucht – längst ausgeträumt. 
Seit 22 Jahren ist sie Spurensicherin! 
Wir sprechen über ‚Räuber und Gendarm!, das Spiel aus der Kindheit. SIE habe schon damals Fingerabdrücke bei ihren Freundinnen genommen.
Während ich ihr lausche, wühle ich in ihrem Stapel und werde selbst ein bisschen Spurensucherin für Beweise ihrer erfolgreichen Karriere. Sie schaut mich an und gibt den ersten Warnschuss ab: „Sicher? Willst du sehen, wie jemand aussieht, der vor die Bahn gesprungen ist?“ Mir rast die Pumpe. „Klar! Geht schon in Ordnung!“

Kurz darauf ist überhaupt nichts mehr in Ordnung.  Ich habe Schiss, von den Bildern im Traum verfolgt zu werden.
„Ich decke die Körper natürlich ab, wenn ich Fingerabdrücke an abgetrennten Gliedmaßen vornehmen muss.“ Ah! So! Mir ist ganz schlecht.
Themenwechsel. Allein erziehend sei auch sie schon gewesen, und schliefen ihre Söhne, begann für sie die Nachtschicht. 
Sie verrät mir Details, aber aufschreiben darf ich die nicht. „Wenn Täter das lesen, könnten sie sich besser vorbereiten!“ Klar! Um Gottes Willen! 
Was ihr persönlich nahe geht? „Wenn es um Kinder geht!“
 
Der Fall ‚Jessica’ (2005) wird kurz noch aufgetischt. Jeder in HH erinnert sich an das Mädchen, das abgemagert und heruntergehungert bis auf Haut und Knochen einen grausamen Tod starb. In dessen Magen man Spuren von Teppichresten fand. 
„Der Katze hingegen ging es gut! - Es macht mich wahnsinnig, darüber nach zu denken, hinter welchen Gardinen gerade wieder Kinder.....!“ Ihr Blick verdunkelt sich. Auch erweiterte Suizide gingen ihr nahe, wenn Kinder zu Waisen werden, weil der Vater erst die Mutter und danach sich selbst hinrichtet. „Die Toten sind tot! Da fühle ich nichts – doch mit den Hinterbliebenen…!“ Weiter seien es Einbrüche von besonderer Qualität, wenn sie sich gegen alte Menschen richteten - arglistige Täuschungen an der Wohnungstür, bis der Täter schließlich im Wohnzimmer steht.

Sie glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod, das hat sich auch durch ihre Arbeit nicht geändert. - Wasserleichen stinken besonders, und Maden, die sich durch bereits verweste Körper fressen – der Ekel vor Krabbeltieren aber sei bis heute geblieben! „Die meisten Morde passieren wohl im Suff, im Freundes- und Bekanntenkreis.“ 

Weil es zeitlich so schön passt, kommen wir noch kurz auf Halloween. Tatort Disko. Sie sah das ganze Ausmaß des Blutbades und dachte nur: „Das schaffen wir nie!“ Am Ende hatte es ‚nur’ 1 Toten gegeben, doch die eigentliche Arbeit lag darin, das Kunst- vom Menschenblut zu unterscheiden. 

Die Spurensicherin hat viel erlebt, hat viel gesehen, eine Bandbreite von Erzählungen gespeichert. Das Attentat auf ‚Negerkalle’ fällt ihr noch ein sowie Drach, der Reemtsma-Entführer. Die erste Tote, an der sie gearbeitet habe, war eine junge Frau, nieder gestochen vom Ex. „Da lag sie nun, wie eine wunderschöne Schaufensterpuppe. Auf so ein Bild war ich nicht vorbereitet.“
 
Wie man Spurensicherin wird?
„Reiner Zufall. Das kann man nicht planen, da rutscht man eher rein. Beamte sind wir aber nicht.“ 
Über 20 Spurensicherer seien in HH im Einsatz, verteilt auf 4 Gebiete. Da ist alles dabei, und sie wirft ein: „Nach zwei Jahrzehnten erkennst du eine Gegend an der Wohnung, und sogar, ob ein Lehrer dort wohnt!“
Durch die Straßen fegt sie zivil, nicht im Streifenwagen. Und ist sie nicht am Tatort, schreibt sie Berichte. Und Berichte. Und Berichte. Einen Fall will ich noch haben, mit dem ich diese Krimistunde schließen kann: „Eine asiatische Studentin, derart gefesselt, dass man schon mutmaßte....doch dann stand das Ergebnis fest: Strangulation nach Abschiedsbrief, aus Enttäuschung über eine etwas (!) schlechte Note bei einer Kunst-Prüfung.“

Danke! Für den Blick hinter die Kulissen!