(verst. 03/21. Du Engel, R.I.P.)
HH-Bremen. Vor mir liegen 113 Kilometer. Aber jeder Meter Zeit wird es mir wert sein.
Genügend Zeit. Nur mit mir. Und vor der Linse meine letzten Monate – ein Kurzfilm, Oscarverdächtig, wenn.... er nicht so traurig wäre. Kategorie Drama.
Mein kleiner Flitzer rauscht über den Teer wie n Spielzeugauto über 'ne Carrerabahn. Der Regen peitscht gegen die Scheiben. Ich dreh das Fenster runter. Mein Gesicht braucht eine Dusche.
Nase neu pudern, Augen frisch tuschen. Gleich bin ich da. Oder hier, im Diesseits, im Jenseits, wer weiß das schon....ich habe keinen Clou, was mich erwarten wird. Ich höre nur die Stimme meiner Heilpraktikerin:
„Conni! Geh da hin! Du wirst sie lieben! Schreib sie an, das tut dir gut!“
Die Tür geht auf. Ich hatte sie mir irrtümlich ganz anders vorgestellt: als eher kleine (!) Grande Dame, deren Stirn dort endet, wo meine Brüste beginnen, doch.... weit gefehlt! Ich lache schon, bevor wir uns richtig begrüßen können und muss sie.... gleich mal drücken – diese Grande Dame von 1,76m. Mit 86 Jahren auf dem Buckel, ohne dass sie einen hat. Ihre Füße... stecken in peppigen rosa Crocks.
Ich breite erst mal meine Nervennahrung für uns aus: Croissants, kleine Tartes aus dem Glas und zwei mal Trinkschokolade aus der Tüte.
Wir nehmen in der Küche Platz. Vor ihr ein Stapel Papier, mit Löchern an der Seite (zuletzt gesehen, als ich solche in einen Drucker schieben musste. In den 90ern). Daneben 10 Stifte. -
Nein, ich kriege keine Angst. Ich bin die Ruhe in Person. Nur meine Haare stehen mir zu Berge.
Zum Aufwärmen schneiden wir kurz ihre Vita an:
*29.1.1933, 3 Kinder, 6 Enkel, 1 Hund. Witwe. Ihr Mann – mit 50 an Hepatitis verstorben. 4 Wochen nach ihrer Mama. Es folgt der Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik, folgt eine Schulung bei einem Heiler, für den sie sogar 10 Jahre arbeiten wird. Sie kommt zum 'Channeln' wie die Jungfer zum Brunnen und erlebt fortan, wieviel mehr es gibt als das HIER! Sie reißt gleich spannende Indizien an. Hinweise. Beweise. Schräge Situationen.
Dann steht sie auf, holt mir ein Deckchen, wickelt mir die Füße ein. "Ich will, dass du’s gemütlich hast! Leg die Füße hoch, mach's dir bequem, du... musst da jetzt durch!“
Noch ahne ich im Ansatz nicht, was sie meinen könnte.
Und schwups ist sie schon abgetaucht. Ist irgendwo, nur nicht mehr hier bei mir. Ich schließe meine Augen und versuche einen Wechsel zwischen Konzentration und Meditation. Dann zähle ich sogar die Sterne auf der Decke, die Füße und Waden so schön wärmt.
Und sie.... sie schreibt. Und schreibt. Sonst ist es leise in der Küche. Aber ihr Schreiben – es erinnert mich an einen Tintenstrahldrucker, nur nicht so laut. Sie macht nicht eine einzige Pause, lässt nicht einmal den Stift ruhen, ist komplett versunken, ist trunken vom
Rausch ihrer medialen Welt. Sie tut mir leid, ich möchte sagen: „Trink mal was! Ruh' doch dein Gelenk mal aus!“
Ich kann es nicht. Ich trau' mich nicht einmal, nach meinem Wasserglas zu greifen. Ich erstarre. Und sie.... schreibt immer noch. Und schreibt. Und schreibt.
Rund 1 Stunde lang hat sie geschrieben. Die Blätter unterm Küchentisch wachsen zu einem Stapel heran, der einfach weiterwächst und wächst und...
Dann ist es vorbei. Ihr Kopf fällt schwer auf ihren Block.
„Boah! Ich muss mich erst mal wieder erden!“
Ich auch! Und dabei war ich gar nicht weg.
Sie schaltet den Rekorder ein, und ich... ich möchte sie ein bisschen dabei filmen, wenn sie mir das Gesamtkunstwerk von vorn bis hinten übersetzt. - Sie liest. Und liest.... auf einmal kommt da diese Stelle, ich erkenne gleich: DAS ist für mich besonders hart! Ich weiß genau, um wen es geht. Wer mir was sagen will. Schon nach dem 3. Satz, da tropfen mir die Tränen von der Wange. Ich denke nur: 'Ich wusste es!' Ich freue mich, obwohl es mir mein Herz zerfetzt!
„Ich danke dir!“ Sag ich – und wische mir die Trauer vom Gesicht.
„Ich kenne deinen Schmerz!“ sagt sie.
Dann machen wir 'ne Selfie-Serie und gehen nach knapp 2,5 Stunden mit einer liebevollen Umarmung wieder auseinander. In der Tür noch flüstert sie mir zu:
„Vor dir war ein Kunde hier... ich habe nie im Leben einen Mann sooo weinen gesehen!“
Eine Stunde später kriege ich 'ne Nachricht: „Es war sooo schön mit dir, Conni!“
Hä? Ich wollte ihr doch grad das Gleiche schreiben!
(Ich denke immer noch ein bisschen an den Kunden. Wie befreiend es zugleich sein muss, wenn Angestautes endlich endlich weichen darf!)
Seit Oktober 2018, seit jenem nicht greifbaren Schicksalsschlag, klebe ich voller Faszination in der Materie. Ich lese viel, ich sehe viel, ich tausche mich viel aus. Und ich bin sicher: wenn auch ich dann eines Tags gestorben bin, bin ich auf keinen Fall tot. Und ich werde versuchen, meinen Nachkommen das zu beweisen. Doch vorher öffne ich sie für den ..... Glauben ..... daran!
Ursula Bechler. Eine tolle Frau. So voller Leben. Und voller Vertrauen in ihre Entwicklung.
(10.03.19)
Channeling: Ein Medium fungiert als "Kanal", um Botschaften aus dem Jenseits zu übermitteln.